Wer ist Hekate?
Der früheste und umfassenste erhaltene Text wurde von Hesiod geschrieben, einem Hirten und Poeten aus Böotien. In seinem Werk „Theogonie“ (was wörtlich „Geburt der Götter“ bedeutet), das zwischen dem 8. und 7. Jahrhundert v.Chr. entstanden ist, präsentiert er eine recht vollständige Kosmologie (= mythisches Weltbild), beginnend mit der Erschaffung der Welt und der Herrschaft der Titanischen Götter und endend mit den Olympischen Göttern.
Innerhalb dieses Werks beschreibt Hesiod, wie Zeus, der Anführer der Olympischen Götter, eine Rebellion gegen ihre Vorgänger, die Titanen, anführt. Zeus verspricht dass die, die sich ihm im Kampf gegen die Titanen anschließen, alles was in der alten Ordnung ihnen gehörte behalten würden. Hekate hat dieses Angebot anscheinend angenommen und kämpfte auf Seiten der Olympier. Diese Tatsache haben viele offenbar ignoriert und haben versucht die Geschichte statt dessen so zu lesen, dass Hekate Zeus irgendwie am Herzen lag. Herrschaft über sowohl Himmel, Erde und Meer zu haben ist recht beeindruckend und erscheint gewaltiger, als man meinen würde dass Zeus es einem ehemaligen „Feind“ zugestehen würde – man muss aber erwähnen dass sie „von allem ihren angemessenen Anteil“ hat. Das bedeutet, dass sie nichts zusätzlich erhalten hat, es war keine Handlung aus Zuneigung, Zeus hat einfach seinen Teil des Handels eingehalten.
Tatsächlich waren die Hekate zugeordneten Kräfte recht umfassend und nicht spezifisch elementarer Natur. Sie umfassten das Richten über Könige, Hilfe zum Sieg im Kampf und bei sportlichen Wettkämpfen, Hilfe für Reiter, Seeleute, Fischer, Bauern und Hirten sowie die erfolgreiche Vermehrung von Herdentieren und den Schutz der Neugeborenen. Trotzdem, bei genauer Untersuchung der später folgenden Mythologie und Papyrusfragmente fällt eine deutliche Seltsamkeit auf: Dieses wahrhaftige Kraftwerk unter den Göttern hat keinerlei eigenständige Mythologie, sie spielt höchstens kleine Nebenrollen in anderen Geschichten. Das führt uns zu der Frage, ob Hekates Ursprung überhaupt in Griechenland zu finden ist.
Falls Hekate eine fremde Göttin war, die aus Kleinasien stammt und von dort in den griechischen Pantheon adoptiert wurde, würde dies das Fehler ihrer eigenen Mythologie erklären. Wo genau in Kleinasien dieser Ursprung gewesen sein könnte, darüber sind sich die Gelehrten uneins. Einige sind der Ansicht, ihr Ursprung liege in Thrakien und sie sei von dort von den Völkern Kleinasiens angenommen worden, bevor sie ins griechische Reich kam. Andere vermuten ihren Ursprung in Karien.
Es wurde auch spekuliert, dass sie sogar aus dem weiter entfernten Mesopotamien stammen könnte. Damit könnte man theoretisch auch soweit gehen und die absolut unbewiesene, aber bei vielen Neuheiden beliebte Theorie erklären, sie sei eine späte Inkarnation der ägyptischen froschköpfigen Göttin Heqet. Damit könnte man sie näher mit der Hekate der Chaldäischen Orakel verbinden. Wie auch immer, zum jetzigen Zeitpunkt scheint es keinen greifbaren oder schriftlichen Beweis dafür zu geben. Das einzige was wir definitiv wissen ist, dass Hekates Reise weit entfernt vom Olymp und den Kindern des Kronos angefangen hat.
Dort hat ihre Reise auch nicht aufgehört und über die Jahrzausende haben sich ihre Anhänger und ihr Kult weiterentwickelt. Einigen erscheint sie nun nicht mehr als hell strahlende Jungfrau, die Wegweiserin und Gefährtin der Göttin Persephone war, sondern sie sehen sie in der Rolle einer Weisen Frau oder Schrecklichen Alten. Diese Änderung der Erscheinung ist möglicherweise durch Autoren wie William Shakespeare und dem Okkultisten Aleister Crowley inspiriert, die Hekate als recht schrecklich anzuschauen empfanden und das auf eine ziemlich frauenfeindliche Art und Weise eher mit Alter denn mit Macht assoziierten! Andere wiederum sehen sie jetzt als Magna Mater, Große Mutter und Mutter der Götter.
Wieder andere, so wie die Mitglieder des Covenant of Hekate, akzeptieren, dass sie viele Facetten und Titel hat, dabei aber einen gleichbleibenden Aspekt: den der Kosmischen Weltseele. Eine Göttin der Übergänge, die sich oft durch Dreiheiten von Formen und Kräften ausdrückt, so wie ihre drei Körper die drei Wegen zugewandt sind, ihr Einfluss über Land/Meer/Himmel, Geburt/Initiation/Tod und Wahrsagerei/Träume/Orakel. Wir glauben, dass sie eine Naturgewalt ist deren Macht sich durch alle Reiche erstreckt und deren formlose Feuer den Weg der universellen Mysterien erleuchten, auf dem sie sowohl Wegweiserin als auch Einweihende ist.
Bearbeitet und übernommen aus „Temple of Hekate“ von Tara Sanchez,
Übersetzung von Rabenzahl, Oktober 2015